Zum 100. Geburtstag von Heinrich Jürgens – eine Erinnerung an einen bedeutenden Politiker (2024)

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Von: Thomas Speckmann

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Zum 100. Geburtstag von Heinrich Jürgens – eine Erinnerung an einen bedeutenden Politiker (1)

Er war ein Freund Hans-Dietrich Genschers und hat zur Gründung des Landkreises Diepholz Morddrohungen erhalten. 100 Jahre alt wäre Heinrich Jürgens am 28. Juli 2024 geworden.

Landkreis Diepholz – Er hat mit Ex-Außenminister Hans-Dietrich Genscher eine enge Freundschaft gepflegt, seinen Kollegen in Brüssel auf Plattdeutsch die Meinung gesagt und für seinen Kampf um die Diepholzer Kreisreform sogar Morddrohungen erhalten. Und trotz seiner Berufung in die große Politik hat er die Nähe zum Bürger und den Sinn für Humor nie verloren. Die Rede ist von Heinrich Jürgens. Der Ehrenvorsitzende der niedersächsischen FDP und ehemalige Minister aus dem Sulinger Land wäre am morgigen Sonntag 100 Jahre alt geworden.

Rückkehr aus dem 2. Weltkrieg: Jürgens verliert Augenlicht

Auf einem Bauernhof im kleinen Oeftinghausen bei Ehrenburg ist Heinrich Jürgens aufgewachsen. Hier steht seine Wiege und hier finden sich noch heute zahlreiche Erinnerungen an den Mann, der seit Anfang der 1960er- bis Mitte der 1990er-Jahre das politische Geschehen mitgeprägt hat und am 4. August 2006, nur wenige Tage nach seinem 82. Geburtstag, an einem Krebsleiden gestorben ist. Hunderte Trauergäste haben damals Abschied genommen und das verdienstvolle Wirken des Politikers gewürdigt.

Sein ältester Sohn Henning stöbert in diesen Tagen in einer Sammlung aus unzähligen Schriften und Bildern, die sein Vater für die Nachkommen hinterlassen hat. „Er konnte sehr schlecht etwas wegwerfen“, schmunzelt der 72-Jährige, der schon etliche Aktenordner durchforstet und einige Papiere aussortiert hat. Immer wieder blättert er in einem gebundenen Werk. Auf 128 Seiten hat sein Vater einen Großteil seines ereignisreichen Lebens niedergeschrieben.

Äußerst bewegend ist das Kapitel über den Zweiten Weltkrieg. Wie viele andere junge Männer wird auch Heinrich Jürgens in die Wehrmacht eingezogen. Er muss nach dem Abitur an die russische Front, wird schwer verwundet und gerät in Gefangenschaft. Der Verlust eines Augenlichtes soll die Freude kaum trüben, als er auf den elterlichen Hof zurückkehrt. „Es war und ist der schönste Tag in meinem Leben“, schreibt der Oeftinghauser in seinen Memoiren.

Beleidigungen und Morddrohungen begleiten die Landkreis-Fusion

Vielleicht sind es gerade die Erfahrungen aus der Zeit des Krieges und des Nationalsozialismus, die den freiheitsliebenden Menschen darin bestärken, in die Politik zu gehen und sich für andere Mitbürger einzusetzen. Der Landwirt schließt sich den Liberalen an, engagiert sich im Gemeinde- und Samtgemeinderat sowie im Kreistag und bekleidet schnell verantwortungsvolle Posten. Schließlich wird er zu höheren Aufgaben auf Landes- und Europa-Ebene berufen.

Politische Auseinandersetzungen gehören zur Tagesordnung. Ein großes Streitthema vor genau 50 Jahren: die Gebietsreform in Niedersachsen. 1974 werden viele Gemeinden aufgelöst und Verwaltungsstrukturen geändert. Diesen Prozess begleitet Heinrich Jürgens als erster Bürgermeister der Samtgemeinde Schwaförden. Was sich auf Gemeindeebene noch relativ verträglich moderieren lässt, soll ihm wenige Jahre später auf Kreisebene erhebliche Probleme bereiten.

Das war eine schlimme Zeit, auch für unsere Familie.

Zum 1. August 1977 verbünden sich die Grafschaft Diepholz und der Großteil der Grafschaft Hoya zum Landkreis Diepholz. Als Landrat des Landkreises Grafschaft Diepholz wirbt Heinrich Jürgens für diese höchst umstrittene Hochzeit und wird von Reformgegnern als „Hauptschuldiger“ ausgemacht, wie er in seinen Memoiren feststellt. Auf das Amt als Landrat, „das ich sehr gerne ausgeübt hätte“, muss der Südkreisler verzichten. Bei der Wahl setzt sich die Mehrheit der Kreistagsabgeordneten aus dem angegliederten Norden durch.

„Das war eine schlimme Zeit, auch für unsere Familie“, erinnert sich Sohn Henning. Er berichtet von Beleidigungen bis hin zu Morddrohungen, kann sich noch an den nächtlichen Polizeischutz auf dem Hof erinnern. Doch sein Vater lässt sich von diesem Widerstand nicht beirren, setzt seinen Weg als Landtags- und Europa-Abgeordneter unbeirrt fort. Die Karriere führt ihn schließlich auf den niedersächsischen Ministerposten für Bundes- und Europa-Angelegenheiten.

Jürgens stellt Dolmetscher im EU-Parlament mit Plattdeutsch vor Schwierigkeiten

Die Freiheit des Einzelnen bewahren, ohne die Freiheit des anderen einzuschränken: Das war sein Demokratie-Verständnis.

In der FDP wird Heinrich Jürgens immer mehr zum Zugpferd. Er übernimmt den Landesvorsitz, verhilft der Partei zu neuem Schwung, pflegt intensiven Kontakt zu den Ortsverbänden und feiert mit den Kandidaten aus heutiger Sicht unvorstellbare Wahlerfolge. „Er war ein Liberaler durch und durch“, sagt Henning Jürgens und ergänzt: „Die Freiheit des Einzelnen bewahren, ohne die Freiheit des anderen einzuschränken: Das war sein Demokratie-Verständnis.“

Trotz seiner Rolle als Kämpfer und Streiter, so beschreiben es frühere Weggefährten, ist Heinrich Jürgens über Parteigrenzen hinaus ein geschätzter Politiker. Und beim Volk weiß der dreifache Familienvater mit Bürgernähe und Menschlichkeit zu punkten. „Heinis“ Vorliebe für die plattdeutsche Sprache kommt an. Ein paar Döntjes lockern die Stimmung auf, können die Dolmetscher im Europaparlament aber auch vor ungeahnte Probleme stellen.

Viele Reden sind heute noch nachzulesen, in dem Berg aus Akten und Ordnern abgelegt. Fast schon unscheinbar wirken seine Ehrungen und Auszeichnungen, etwa das Bundesverdienstkreuz oder die niedersächsische Landesmedaille. Aus solchen Lorbeeren hat sich Heinrich Jürgens nicht viel gemacht. Sie rangieren in der Vitrine ganz unten. Es dominieren seine gesammelten Figuren aus Keramik, Holz und anderen Stoffen. Es sind Eulen – bekanntlich ein Symbol für Weisheit.

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